Beschreibung
Körperlich versehrte Geistliche sind eine Gruppe, die es nicht geben sollte ‒ und zwar nicht nur im Mittelalter, sondern noch bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein. Auf der Grundlage des alttestamentarischen Priestergesetzes forderte die Kirche von Geistlichen grundsätzlich körperliche Unversehrtheit. In der Praxis gab es dennoch Priester, die auf einem Auge blind waren oder eine Beinprothese hatten. Mit einer päpstlichen Dispens war es ihnen sogar möglich, tätig zu sein, ohne gegen kanonisches Recht zu verstoßen.
Die Arbeit behandelt den Umgang mit Behinderung, chronischer Krankheit und Altersgebrechen durch Kirche und Gesellschaft vom ausgehenden 14. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt der Studie stehen Weltgeistliche, von einfachen Dorfpfarrern bis hin zu hochrangigen kirchlichen Funktionsträgern wie Bischöfen. Zum einen wird untersucht, wie Gemeinden, Kollegen und Kirchenobere auf körperlich versehrte Geistliche reagierten. Zum anderen folgt die Arbeit dem Ansatz der Dis/ability History, Versehrtheit nicht nur von außen zu betrachten, und analysiert, wie die Betroffenen selbst mit ihrem Schicksal umgingen, welche Handlungsmöglichkeiten sich ihnen boten und inwieweit sie diese zu nutzen wussten.
Das Hauptquellenmaterial für die Untersuchung stellen die in den Registern der päpstlichen Kanzlei und Pönitentiarie überlieferten Suppliken und Dispense versehrter Geistlicher dar, die dem Papst und seinen Vertretern ihre Geschichten und Bitten vortrugen. Diese einzigartige Quellenserie wurde durch ausgewählte regionale Quellen aus dem Deutschen Reich und Skandinavien ergänzt.
AUTORIN
Friederike Stöhr studierte Mittelalterliche, Neuere und Neueste Geschichte und Romanische Philologie in Freiburg und Trento. Im Anschluss schrieb sie in Freiburg und Aarhus ihre Dissertation über körperlich versehrte Geistliche im Spätmittelalter, mit der sie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau promoviert wurde.