Beschreibung
Die Autorinnen und Autoren des Bandes diskutieren an zahlreichen Ausstattungsvorhaben in Sakral- und Bibliotheksräumen Mitteleuropas, inwieweit die ideellen Konzepte einer im katholischen Milieu zu fassenden Aufklärung ästhetische und funktionale Strategien im Umgang mit Bildern, Objekten und Dekorationselementen verändert haben. Über die immer wieder geltend gemachte Dichotomie von Barock und Klassizismus – als stilistischer Manifestation der Aufklärung – hinaus, geraten dabei komplexe kunsthistorische, theologische und liturgiegeschichtliche Fragestellungen in den Blick: die Neuorganisation herkömmlicher sakraler Raumordnungen durch Altäre, Chorgestühle, Skulpturen oder Fresken, die Brechung illusionistischer Verfahren in der Malerei, inhaltliche Akzentverschiebungen in den Bildprogrammen, die Rekontextualisierung überkommener Artefakte oder ein neuartiges Geschichtsverständnis und die damit verbundene Visualisierung historischer Überlieferung. In der Gesamtheit der untersuchten Phänomene entsteht ein differenziertes Bild vom katholischen Sakralraum, von den einzelnen Akteuren und ihren widersprüchlichen Interessen in den Jahrzehnten vor der Säkularisation.
Inhalt
Birgitta Coers, Lorenz Enderlein, Tobias Kunz und Markus Thome: Kirchenraum, Katholizismus und Aufklärung. Zur Einführung; Meinrad v. Engelberg: Kontinuität oder Paradigmenwechsel? Aufklärung und Renovatio; Peter Stephan: In Stein gegossene Weisheit. Sant’Ivo in Rom als Aufklärungsarchitektur?; Martin Kirves: Irrationale Rationalität. Die Rocaille als Erkenntnisform der Aufklärung; Florian Bock: Inszenierung oder Entzauberung der Liturgie? Katholische Predigten zur Kirchweihe im 17. und 18. Jahrhundert; Nicolaj van der Meulen: Das Bild an der Decke als Ort der Kritik. Der Entwurf des Zwiefalter Langhausfreskos. Text- und Bildkritik; Werner Telesko: »Das Wort Gottes also soll der Prediger austheilen«. Aufklärung und barocke Deckenmalerei. Das Beispiel Österreich; Karl Möseneder: Die ›Weisheit‹ der Aufklärung. Maulbertschs Bibliotheksfresko in Klosterbruck und Korbers Historische Erklärung; Angelika Dreyer: Zwischen nachtridentinischer Frömmigkeit und katholischer Aufklärung. Die Fresken von Joseph Mages in Dasing und Dillishausen; Ute Engel: »Simplicitet, welche mit sanfter Gefaelligkeit verschwetert«. Deckengemälde von Johann Baptist Enderle in Kurmainz; Birgitta Coers: Ordensgründer und -gründerinnen als Visionäre. Zur Typologie des Visionsbildes im Fresko des 18. Jahrhunderts; Dörte Wetzler: Aufgeklärte Wies? Überlegungen zum Einfluss der katholischen Aufklärung auf das Bild- und Ausstattungsprogramm der Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland (1745–1754); Regina Deckers: »Im gothischen Geschmacke«. Der Hochaltar von St. Michael in Wien (1779–1782); Tobias Kunz: Skulptur und Sakralraum um 1780. Beobachtungen in südwestdeutschen Klosterkirchen im Zeitalter der Aufklärung; Ulrich Knapp: »Ich sehe in den vorstehenden Abbildungen so wenig Verbindung und Zusammenhang […].« Das Salemer Münster und die Neukonzeption seiner Ausstattung im ausgehenden 18. Jahrhundert; Markus Thome: Religiöses Wissen im Zeichen der Aufklärung. Raumstrukturen und Bildstrategien in den nach 1770 erneuerten Abteikirchen Salem und Ebrach; Katinka Häret-Krug: Die Ausstattung der Bronnbacher Klosterkirche in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Reaktion auf die katholische Aufklärung in den Bistümern Mainz und Würzburg?; Lorenz Enderlein: Umbettungen. Retrospektive Sepulturen in den Klosterkirchen Schöntal, St. Peter im Schwarzwald und St. Blasien.
Herausgeberin und Herausgeber
Birgitta Coers, Studium der Kunstgeschichte, der Klassischen und Christlichen Archäologie in Marburg, Promotion über Pompeji in den Bildkünsten der Moderne; nach einem Volontariat am Kunstmuseum Basel wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Marburg und Akademische Rätin an der Universität Tübingen, derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachportal arthistoricum.net an der SLUB Dresden, gegenwärtiges Forschungsvorhaben zu Frauenkonventen im 18. Jahrhundert.
Lorenz Enderlein, Studium der Kunstgeschichte in Berlin, Promotion über die Grablegen der Anjou in Neapel, Stipendiat an der Bibliotheca Hertziana, Rom, danach wissenschaftlicher Assistent am Kunsthistorischen Institut der Universität Tübingen, Habilitation über italienische Profanausstattungen des Spätmittelalters (2016), Veröffentlichungen zur Kunst und Architektur des Mittelalters, des 18. und 19. Jahrhunderts.
Tobias Kunz, Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Geschichte in Berlin, Promotion zur Skulptur um 1200 in Skandinavien und Nordwestdeutschland (2002), Assistenzvertretungen an Universitäten in Mainz, Tübingen (2007‒2009) und Berlin, langjähriger Mitarbeiter der Skulpturensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin; Forschungsschwerpunkte: hochmittelalterliche Skulptur nördlich der Alpen, Wiederverwendung mittelalterlicher Bildwerke in Barockkirchen.
Markus Thome, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Buchwissenschaft in Bonn und Mainz, Promotion mit einer baumonographischen Untersuchung des Zisterzienserklosters Heiligenkreuz (2005), wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent an den Universitäten in Mainz und Bern, seit 2011 Juniorprofessur an der Universität Tübingen; Forschungsschwerpunkte: monastische Architektur und Raumkonzepte, Präsentation von Architekturgeschichte und mittelalterlichen Bauteilen in Museen des 19. und 20. Jahrhunderts.